Blau-weiße Tischdecken und bayerisches Salzgebäck sind die ersten Vorboten auf das, was in Kürze kommen wird. Schnell schweift der Blick in die Ecke des festlich dekorierten Saals. Ans DJ-Pult. Spätestens beim Anblick der DJane, die sich dort in ihrem Dirndl zu den Klängen urbayerischer Volksweisen auf den Auftritt vorbereitet, wird klar: Es ist Oktoberfest!

Doch die Rede ist nicht vom größten Volksfest der Welt auf der Münchner Theresienwiese, sondern von einem Seniorennachmittag im Bensheimer Caritasheim St. Elisabeth. Seit ein paar Monaten treffen sich die Bewohner des Pflegeheims dort regelmäßig zu einem vergnüglichen Nachmittag - Musik, Tanz und ausgelassene Stimmung inklusive. Von Beginn an mittendrin, statt nur dabei: DJane "Fräulein Marlene", alias Jasmin Mölter aus Birkenau.

Auftritte sind Herzensangelegenheit

"Diese Auftritte sind für mich eine Herzensangelegenheit", sagt die Odenwälderin - zieht ihre Kopfhörer auf und dreht an den Reglern ihrer Soundanlage. Sogleich klingt das "Kufstein-Lied" leise aus und die ersten Töne von "In München steht ein Hofbräuhaus" dröhnen aus den Boxen. Jetzt ist Mölter in ihrem Element: Beim "Oans, zwoa g'suffa" gibt sie mit ihren Fingern die Richtung vor, die Senioren singen lautstark mit. Oder schwelgen auf der Tanzfläche in Erinnerungen an ihre Jugend - zur Freude von Ulrike Trömer-Schütz. "Für manche Bewohner ist dieses Angebot genau das richtige", sagt die Leiterin des sozialen Dienstes des Caritasheims. "Und auch wir sind froh, dass wir mit diesem Tanzcafé etwas Abwechslung in den Alltag der Bewohner bringen können."

Dabei sei sie zunächst skeptisch gewesen, als Jasmin Mölter mit ihrem Angebot an sie herangetreten sei. "Wir haben uns aber entschieden, es einfach auszuprobieren. Jetzt können wir sagen: Es hat sich gelohnt", berichtet Trömer-Schütz. Für Jasmin Mölter sind die Auftritte im Seniorenheim indes auch eine Gelegenheit, um Erfahrungen am Mischpult zu sammeln. Und um die Theorie in die Praxis umzusetzen. Denn seit fünf Jahren besucht die Odenwälderin die Übungsstunden von Baris Bilgin in der Mannheimer DJ-Schule "Vibra".

Spät ihre Leidenschaft entdeckt

Das Besondere daran: Als Jasmin Mölter den Entschluss fasst, DJane zu werden, ist sie bereits 56 Jahre alt. Demnächst vollendet sie ihr 61. Lebensjahr. Doch damit nicht genug: Das "DJing" sollte für die Birkenauerin nicht nur Hobby sein, sondern ihr neuer Beruf. Will heißen: Sie gründete einen Veranstaltungsservice und machte sich als DJane selbstständig. "Ich habe BWL studiert, war danach 35 Jahre lang in der Pharmaindustrie tätig. Bis mein Arbeitgeber Umstrukturierungen angekündigt hat", blickt sie zurück. Getreu ihrem Lebensmotto "Es gibt keinen Stillstand", fasste Mölter den Entschluss: "Bevor das Unternehmen umstrukturiert, strukturiere ich mich selbst um."

Deartige Reaktionen seien bei älteren Existenzgründern öfter zu erkennen, berichtet Marco Kreuzer, Projektleiter der Gründungsoffensive Bergstraße-Odenwald bei der Bergsträßer Wirtschaftsförderung. "Oft betätigen sich diese Menschen in Bereichen, in denen sie ihre Berufs- und Lebenserfahrung besser einsetzen können", stellt der Gründerberater fest. Und weiter: "Sofern sie bereits finanziell unabhängig sind, gehen sie oftmals auch einer Tätigkeit nach, die ihnen einfach Spaß bereitet und verdienen sich damit bestenfalls etwas hinzu."

Und Spaß bereitet Jasmin Mölter die Musik. Seit jeher. "Ich bin mit dem SWF Pop Shop von Frank Laufenberg in den 70er Jahren groß geworden", sagt sie. Schon immer habe sie auf Partys oder Feiern in Sachen Musik die Initiative ergriffen. Zupass kam ihr bei heimischen Feiern dabei eine Original "Wurlitzer Jukebox", die sie zu ihrem 18. Geburtstag geschenkt bekam und bis heute hegt und pflegt.

Musikalisch auf dem neuesten Stand

Ihr neuer Beruf lag für sie also förmlich auf der Hand - wenngleich Jasmin Mölter, die nicht nur als "Fräulein Marlene", sondern auch unter dem Pseudonym "Jackie M." auftritt, eine besondere Nische der Selbstständigkeit für sich entdeckt hat. "Im Haupterwerb selbstständige DJs sind bei uns sehr selten", sagt Kreuzer. In Mannheim sieht das anders aus: Bei Baris Bilgin geben sie sich quasi die Klinke in die Hand. Doch auch für ihn ist die Zusammenarbeit mit Jasmin Mölter außergewöhnlich. "Sie kam in einem eher untypischen Alter ohne große Vorkenntnisse zu uns. Das allein ist schon etwas Besonderes", sagt der "Coach". Zudem betont er den Mut seines Schützlings: "Sie nimmt bewusst das Risiko in Kauf, von Jüngeren nicht ernstgenommen zu werden. Da gehört viel dazu."

Jasmin Mölter begegnet diesen Klischees auf ihre Weise. "Sie ist humorvoll, fleißig und sehr motiviert", berichtet Bilgin. Darüber hinaus ist sie musikalisch auf dem neuesten Stand: Hörte "Jackie M." in ihrer Jugend noch vorrangig die Hits von James Brown oder Barry White, so schwärmt sie heute unter anderem für die Elektro-Stars Fritz und Paul Kalkbrenner. Auch die Hardrocker von AC/DC dürfen auf ihrer 7892 Songs umfassenden Liste für Partys für "Best Ager", Hochzeiten oder runde Geburstage nicht fehlen. Das Gleiche gilt für die "Top Ten" der aktuellen Charts. Das "Gesamtpaket Jasmin Mölter" ist es dann auch, was Baris Bilgin optimistisch in die Zukunft blicken lässt: "Ich traue ihr Einiges zu. Wir arbeiten daran, eine besondere Nische für sie zu finden."

Die Auftritte im Altenheim dürften dann wohl weniger werden - wenngleich Jasmin Mölter an dieser "Herzensangelegenheit" unbedingt festhalten möchte.